Kommentar/taz.FUTURZWEI: It’s the economy, Ökos!

Der deutsche Klimaaktivismus boykottiert die Wirtschaft. Dabei sind ökonomische Theorie und praktische Unternehmensführung der wirksamste Hebel für eine ökologische Zukunft. Ein Plädoyer für eine Neuausrichtung der Klimabewegung für taz FUTURZWEI im Juli 2023.

Der deutsche Klimaaktivismus isoliert sich zunehmend von der politischen Realität, so dass er bereits im eigenen parlamentarischen Arm, also bei den Grünen, kaum noch neugierige Zuhörer findet und gar Feinseligkeit wittert. Dieser grün-grüne Binnendialog, nicht inspirierend, geistreich, erfolgreich, sondern verbarrikadierend, belehrend, nachtragend, ist nicht nur demokratischer Streitkultur unwürdig, sondern sagt das Versagen des heutigen Klimaaktivismus voraus.

Der deutsche Klimaaktivismus am Ende

Der politische reality check für den Klimaaktivismus durch Grüne in Bundes- und Landesregierungen ist indes nicht das einzige Indiz für die Verfahrenheit in der Klimadebatte. Protestformen wie das Ankleben auf Autobahnauffahrten und Hauptverkehrsknotenpunkte sowie die Blockaden von Flug- und Ferienverkehr erzählen eine Milieuferne zu den Lebenswelten der Industriebeschäftigten, des Handwerks, der Bauern, aber auch der einfachen Beschäftigten in der Dienstleistung oder einer Jugend ohne gymnasial-studentischem Hintergrund. Eine Mehrzahl der deutschen Klimaaktivisten ist im Bürgertum und Kleinbürgertum verwurzelt, hier wiederum mit einem starken Anteil des Bürgertums im öffentlichen Dienst. Die biografischen Hintergründe der Protagonisten der Klimabewegung sind gehobene Mittelschicht, Erbengenerationen, Akademikertum. Ist daran auch an sich nichts auszusetzen, darf man nach der politischen Durchschlagskraft einer deutlich homogeneren Bewegung als angenommen fragen, die nahezu tölpelhaft und naiv die Trigger einer leistungs-, aufstiegs- und wachstumsorientierten Gesellschaft ignoriert.

Ausgerechnet aus den Disziplinen, in denen sich neue zivilisatorische Perspektiven ergeben könnten, wird sich ferngehalten, und das unter fast peinlicher Unkenntnis. Gerade die Distanz zur ökonomischen Theorie und mehr noch zu den Praktiken der Unternehmensführung und zu Modellen der Unternehmensbewertung verhindert die Reflektion über Hebel, die extreme Unterschiede machen können. Der Klimaaktivismus sieht in Wirtschaftskenntnis an sich einen Lobbyismus für einen starren Marktwirtschaftsmechanismus, der immer zu höheren Umweltkosten und Ressourcenverbrauch führen muss.

Klimaschutz muss finanziert werden

Doch von ”dem Kapitalismus” zu sprechen, ignoriert die Vielfalt gesellschaftlicher Modelle, die marktwirtschaftliche Elemente beinhalten und Güterknappheit intelligent begegnen. In der Vielfalt dieser Modelle sind zuhauf Maßnahmen wohlfahrtsstaatlicher und umverteilender Art sowie Investitionshebel zu finden, die selbstbegrenzend wirken und mit Produktivität, Innovation und Wohlstand positive Effekte auf Gesellschaft ausstrahlen. Die Finanzierung des Klimaschutzes selbst untersteht der Frage seiner Finanzierung; dauerhaft muss er kostengünstiger werden, insofern auf nachhaltige Lösungen und innovative Technologien nicht zu verzichten ist. Wer ressourcenintensiven Industrien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts abschwört, steht in Abhängigkeit zur Idee neuer grüner Wachstumsmärkte, beispielsweise im Bereich der erneuerbaren und sauberen Energie oder zirkulärwirtschaftlichen Geschäftsmodellen. Viele Unternehmer haben sich bereits auf klimabewusste Geschäftsmodelle eingelassen; zahlreiche Gründer wittern in diesen Märkten Aufstiegschancen. Diese Initiative verlangt verlässliche Rahmenbedingungen. Noch sind Deutsche im Bereich der energetischen Sanierung von Gebäuden, der Technik der erneuerbaren Energien, umweltfreundlicher Kohletechnologie oder auch nachhaltiger Mobilität weltmarktführend. Das kann sich schnell ändern, hat der globale Wettbewerb um die innovativsten Ansätze unlängst begonnen. Die Taktung von Sprunginnovationen und technischen Durchbrüchen nimmt zu. Investitionen in Energieeffizienz und klimaschonenden Energietechniken sind auf einem Allzeithoch; Forschung in nachhaltige Antriebsstoffe und wiederverwertbare Materialien sind endlich finanzierbar geworden.

Wirtschaftliches Handeln als Gestaltungsraum erkennen

Die Wirtschaft selbst ist noch am besten dazu geeignet, Verbrauchs- und Haftungsmodelle zu installieren, die auf theoretische Annahmen wie Werte wie Nachhaltigkeit Rücksicht nehmen können. Klimapolitik kann in die Fasern marktwirtschaftlicher Modelle hineingewoben werden, statt im Nachtrag Mechanismen ausschließlich zu stören. Ökonomische Theorie ist voller Möglichkeit der Kreativität. Verschiedene Formen des Umgangs mit Knappheit und unterschiedliche Konzepte zur Verregelung von Teilen und Verantworten sind ökonomisch darstellbar. Gesellschaftliche Ziele bereits in die Grundmechanismen wirtschaftlichen Handelns zu implementieren ist schlicht auch ein Gebot der Fairness und des Respekts denjenigen gegenüber, die sich aktiv in wirtschaftliches Handeln mit allen Risikoabwägungen hineinbegeben. Mit der Häufung der „bösen Überraschung“ steigt auch das Risiko gesellschaftlicher Frustration und dann Spaltung.

Das trocken und traditionell anmutende Finanz- und Rechnungswesen eignet sich wie kaum ein zweiter Teil ökonomischer Theorie, einen nachhaltigen Hebel von Grund auf zu etablieren. Es basiert auf theoretischen Annahmen, unternehmerisches Handeln zu katalogisieren und ihm Wertigkeiten zuzuschreiben. Auf Basis dieser Werte, der Finanzkennzahlen eines Unternehmens, wird investiert oder gespart, werden Mitarbeiter eingestellt oder entlassen, werden Einkäufe getätigt oder unterlassen. Unternehmenslenker werden je nach Finanzkennzahlen von Umsätzen und Margen honoriert oder sanktioniert; nach entsprechenden Zahlen werden Aktien veräußert oder nicht. Das aktuelle Finanz- und Rechnungswesen erfasst jedoch nicht jede Unternehmensaktivität; sie ist zudem kurz- und mittelfristig ausgelegt und qualifiziert Positionen der Nachhaltigkeit nicht hinreichend als zukunftsweisend. Auslagen in Grundlagenforschung oder Ausbildung oder Förderung der Mitarbeiter werden bisweilen als reine Kosten erfasst, auf die in Krisenzeiten wohl zur Stabilisierung des Unternehmens, verzichtet werden sollten. Schlüssiger wäre, sie als Investitionen in nachhaltige Unternehmensstrategie zu lesen. Gerade auch unter dem Druck zunehmend automatisierter Entscheidungsprozesse durch künstliche Intelligenz kann das Bewusstsein dafür schwinden, dass Finanzkennzahlen keine objektiven Geschichten erzählen, sondern auf theoretischen Entscheidungen und Annahmen basieren. Ändert sich nur eine Katalogisierung, ein zugeschriebener Wert in der Theorie des Finanz- und Rechnungswesens, erschließt sich darauf eine andere, eine neue Unternehmensgeschichte von Erfolg oder Misserfolg. Das betritt nicht nur Unternehmensführung, sondern darüber hinaus auch Unternehmensübernahmen oder Wirtschaftszweige und -märkte überhaupt. Ein Beispiel markiert die geplante Übernahme von Unilever durch Kraft Heinz im Jahr 2017, da der Kapitalmarkt Kraft Heinz wegen höherer Marge höher bewertete, obgleich Unilever nachhaltiger und strategisch zukunftsweisender aufgestellt war.

Nachhaltige Verantwortung in ökonomische Theorie schreiben

Die vollständige Berücksichtigung der Folgen von Unternehmenstätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt muss in der Finanzberichterstattung garantiert sein. Das ist bisweilen nicht der Fall. Wichtig wäre das nicht nur für Investoren oder Aktionäre; gerade auch Behörden und Gesellschaft sind auf zuverlässige und vergleichbare Informationen über Nachhaltigkeit betreffende Aktivitäten angewiesen. Bisher werden sämtliche Entscheidungen innerhalb eines Unternehmens Nachhaltigkeit betreffend in qualitative Nachhaltigkeitsberichte ausgelagert. Uneinheitliche Prämissen in Jahresabschlüssen schaffen Intransparenzen, sodass auch Unternehmen, die beabsichtigen, eigene Nachhaltigkeitsleistungen offen und kritisch zu evaluieren, durch Widersprüche bei der Bezifferung korrekter Verlustrisiken beim Wirtschaften gehindert werden. Auch die EU-Taxonomie geht hierhingehend nicht weit genug. Sowieso macht nur ein globales einheitliches Finanz- und Rechnungswesen in einer globalisierten Weltwirtschaft sind. Davon sind wir weit entfernt.

Für viele Angehörige der Klimabewegung sind Finanzkennzahlen Störfaktoren, die ihnen in ihrer ideologischen Argumentation hinderlich erscheinen. In Wahrheit sind sie transparenzschaffend, gerade auch für Staat und Gesellschaft. Eine neue Klassifizierung in der Rechnungslegung der staatlichen Ebenen würde bei der Bewertung von Investitionen von Staat, Ländern und Kommunen als kapitalbildende Maßnahme für die Zukunft helfen. Bisher gelten Investitionen als einmalige Ausgaben, die durch die schwarze Null minimiert werden müssen; dabei sollten sie als öffentliches Vermögen schaffende kapitalibildende Maßnahmen für die Zukunft langfristig abschreibbar sein. Ein Finanz- und Rechnungswesen, das sich stetig auf gesellschaftliche Prinzipien aktualisiert, kann dazu führen, dass öffentliche Aufgaben zunehmend Eingang in die private Wirtschaftsebene finden. Werden Forschung, Ausbildung und Fortbildung als positive Positionen für eine Volkswirtschaft verstanden, ist im Privatsektor auch mehr Initiative zu erwarten, statt sich ausschließlich auf die politische Fürsorge in Kultusministerien zu verlassen.

Die Ökowende im Finanz- und Rechnungswesen

All diese Reformvorschläge für ein Finanz- und Rechnungswesen, das den Ansprüchen einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft gerecht werden soll, sind beispielsweise unter dem Stichwort Planetary Boundary Accounting zusammengefasst; einem Begriff, der es bisher nicht in die Talksendungen zum Thema Klimaschutz geschafft hat. Die Sustainable Finance-Initiative in Deutschland und Europa bemüht sich aber zusehends darum, ganzheitliche Verantwortungsprinzipien in finanzwirtschaftliche Mechanismen einzubauen. Die Value Balancing Alliance, ein Zusammenschluss aus über 20 Konzernen wie BASF, Deutsche Bank oder Porsche, arbeitet aktiv an einer Methodik, ökonomische, soziologische und ökologische Folgen von Unternehmenshandeln transparent und vergleichbar zu machen. Den Deutschen voraus sind schon heute Länder wie Großbritannien oder die USA, die mit verpflichtender Berichterstattung nach der Vorgabe der Task Force and Climating Disclosures Transparenz zu erreichen.

Ökonomische Theorie ist nicht der Feind der Klimabewegung. Sie kann näher stehen und mehr leisten als jede politische Maßnahme. Wer kenntnisreich aufdeckt, wie unschlüssig, fehlerhaft und unvollständig Prämissen, Herleitungen und Rechnungen in den Grundlagen unserer marktwirtschaftlichen Modelle sind, ist fähig und aufgerufen, sie derart umzubauen, dass sämtliche wirtschaftliche Aktivitäten auch den Verantwortungsprinzipien der Nachhaltigkeit dienen. So käme man einem natürlichen Gesellschaftsablauf mit integrierten Lösungen wirklich näher.