Hinter Achtsamkeit, Wellness und Selbstfürsorge stehen immer öfter Selbstoptimierung, Leistungssteigerung und verdeckte Ausbeutung. Mein neues Buch über eine gefährliche Entwicklung.
Die Pandemie war noch nicht geschehen und mein Buch über Einsamkeit war noch nicht veröffentlicht. Da lernte ich die Freundin einer Freundin kennen. Sie war unglücklich in ihrem Job gewesen. Sie wurde gemobbt und schikaniert, von Kollegen, von Vorgesetzten, und in der Folge litt sie unter Schlafstörungen und Panikattacken. Mit Qual und Scham schleppte sie sich werktäglich zur Arbeit. “Kannst Du da gar nichts tun?”, fragten meine Freundin und ich. Die Freundin meiner Freundin grinste siegessicher: “Ich tue sehr viel.”
Doch ein Betriebsrat existierte nicht. Das Arbeitsrecht ließ sie im Stich. Ein Jobwechsel kam vorerst nicht infrage. Die Konfrontation suchte sie nicht. Stattdessen machte sie Yoga und Pilates, sie joggte vor der Arbeit, in der Mittagspause und nach Feierabend. Sie manifestierte, nicht weiter gemobbt zu werden. Sie atmete ein und atmete aus. Achtsamkeitspraktiken und Resilienztrainings halfen ihr, einen toxischen Arbeitgeber und eine ausbeuterische Beschäftigungskultur auszuhalten. War das die Lösung?
Zugegeben, das Beispiel ist plakativ, aber dieses reale Erlebnis vor über fünf Jahren ließ mich im Anschluss immer und immer wieder darüber nachdenken, was Achtsamkeit und Resilienz heutzutage wirklich bezweckten. Dekonfliktualisierten und entpolitisierten sie eine Gesellschaft, die strukturelles Leid individualisierte statt es auf auf ebenjener strukturellen Ebene zu bekämpfen? Ist die Entwicklung hin zu Wellness und Selbstfürsorge in Wahrheit ein Roadbook für immer neue Schmerzgrenzen und eine immer höhere Leidenstoleranz? Ignorierten wir Erschöpfung, Stress und Überforderung als Widerstandsgeste und reparierten uns mit einer täglichen Dosis Fitness und Entspannung immer wieder neu, um am nächsten Tag erneute Ausbeutung durchzustehen?
Waren eine neue Milliardenindustrie und Konsumkultur von Wellness und Selfcare in Wahrheit mitnichten eine Unterbrechung unseres kapitalistischen Systems, sondern sein totales Fortschreiten? Schmiedeten wir Arbeiter und Bürger von Gehorsam und Unterwerfung statt politische Wesen, die gemeinschaftlich aufbegehrten? Über all das habe ich erst nachgedacht und es dann aufgeschrieben. Herausgekommen ist dieses Buch.
“Die Achtsamkeitsfalle. Angriff auf Körper, Geist und Seele” erscheint am 8. Dezember 2025 und ist vorerst ausschließlich hier vorzubestellen. Die ersten einhundert Exemplare sind signiert und werden pünktlich zum Erscheinungsdatum geliefert. Die offizielle Buchvorstellung findet an ebenjenem 8. Dezember 2025 auf dem Medienschiff von Gabor Steingart auf der Spree in Berlin statt. Tickets sind ausschließlich hier zu erwerben. Ich freue mich über jedes vorbestellte Buch und über jedes verkaufte Veranstaltungsticket. Ich habe auf diesen Tag lange gewartet.
Einatmen. Und ausatmen. Zur Ruhe kommen. In Stille sein. Frieden finden. Wer der Lehre der Achtsamkeit folgt, soll zu einem besonderen Ort gelangen. Es ist ein Ort der Einkehr, der Einsicht und der Weisheit. Ein Ort eines offenen und nicht urteilenden Gewahrseins. Ein Ort der Autonomie.
„Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so schwer?“ Das Motto, das der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse an den Anfang seines 1919 erschienenen Bildungsromans „Demian“ stellt und das der Ich-Erzähler Emil Sinclair spricht, geht auf das offenbare Unvermögen ein, einfach zu sein. Sein. Was wie das Leichteste der Welt klingt, scheint bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine Herausforderung. Heute aber ist es noch schwerer.
Auf Erden zu wandeln heißt heute, sich zwangsläufig dem Strom unaufhörlicher Information, permanenter Beschallung und Beleuchtung, und dem allzeitigen Druck von Konsum, Überfluss und Überlastung zu beugen. Über allem schwebt das Primat der Produktivität. Kaum jemand ist vor Optimierung und Ausbeutung sicher. Das Leben in Zivilisation ist ein Leben mit Finanzkapitalismus und Risikogesellschaft, invasiver Technologie und smarter Diktatur. Demokratien sehen der Wiederentdeckung der Oligarchie und dem Wiederaufstieg des Faschismus entgegen. Eine neue Moral und ein neuer Konformismus überziehen vermeintlich freie und offene Gesellschaften. Der Goldrausch der Künstlichen Intelligenz trifft auf das Zeitalter der Einsamkeit. Die Herrschaft sozialer Plattformen, die Enthemmung in Diskurskultur und der Krieg um die Aufmerksamkeit stecken noch in Kinderschuhen. Die Welt, in der wir leben, ist laut und grell und aufdringlich geworden. Sie überschreitet Grenzen. Sie greift nach dem Menschen. Die Welt von heute seziert und skaliert ihn, sein Innerstes, seine Privatsphäre. Sie reduziert ihn auf Kennzahlen, verkauft seine Daten, manipuliert seine Entscheidungen und macht ihn abhängig. Das Leben ist kein stiller Bach mehr. Aus ihm ist ein mitreißender Strom geworden. Sich zu entziehen, einfach nur zu sein – das ist heute nicht weniger als eine Utopie.
Darum also ist kein Ort ersehnter, kostbarer, ja unwirklicher als jener, den die Achtsamkeit verspricht. Mediationstechniken und Stressbewältigungspraktiken sollen wie in das Auge eine Hurrikans führen, in ein nahezu windstilles Zentrum, ungeachtet dessen, dass der Sturm im Außen wütet und zerberstet. Wenn das gelingt, sich von den Katastrophen, Tragödien und Verbrechen dieser Welt nicht verunsichern, nicht aufreiben, nicht einschüchtern zu lassen, sondern in sich zu ruhen und sich selbst gewahr zu sein, kann daraus Souveränität, Handlungsfähigkeit, ja sogar Widerstand erwachsen. Achtsamkeit ist dieser Deutung nach keine Flucht vor Verantwortung, kein komfortables Zurückziehen, sondern im Gegenteil Quelle für Emanzipation und Ermächtigung. Eine Strategie für Eigenliebe und Selbstfürsorge, darüber hinaus aber auch das Fundament für persönliches Wachstum und sozialen Wandel. Soweit das Ideal.
Dass das Konzept der Achtsamkeit aus der jahrtausendealten Tradition des Buddhismus und frühester christlicher Kontemplation das Zeug hat, auch in der Moderne erfolgreich zu sein, hat der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn in den 1970er Jahren erkannt. Kabat-Zinn überführte die spirituelle Lehre der Achtsamkeit in ein belastbares modernes klinisches Konzept mit Anwendungsfeldern in der Medizin und in der Psychotherapie sowie alltäglicher Praxis. Seitdem hat die Achtsamkeit einen kulturellen Triumphzug sondergleichen hingelegt. Um sie herum ist eine ganze Welt entstanden, die auf Wohlbefinden und Selbstfürsorge, auf Wellness und Erholung, auf Gesundheit und Fitness, auf mentale und spirituelle Bedürfnisse zielt. Das Versprechen dieser Achtsamkeits-Welt, dieser besondere Ort des Ichs, die Stille im Zeitalter der tausend Stürme, ist derart ersehnt, derart kostbar, dass der Mensch tief in die Brieftasche greift, um nur an ihn zu gelangen.
Hunderte Millionen Menschen haben Bedarf. Eine Milliardenindustrie ist entstanden. Achtsamkeitslehrer und Achtsamkeitstrainer, sogenannte Coaches, bieten Klassen, Kurse und Betreuung. Duftkerzen versprechen ein erholsames Ambiente. Hautpflege wirbt mit revitalisierender Wirkung. Sportbekleidung soll das Körpergefühl unterstützen. Klangtherapie verheißt die Beruhigung der Atmung. Saftkuren schenken Entgiftung und gesunden Schlaf. Auch Drogen wie LSD, Ketamin, Psilocybin und MDMA gelten nun als Gesundheitsmittel, die positive Wirkung bei Depressionen zeigen sollen. Im Gesundheitsfeld Longevity erhalten die Bewegungsdisziplinen Aerobic und Gymnastik einen neuen Anstrich, damit Menschen möglichst lange gesund leben. Die Ernährungsindustrie kann sich vor Neuerfindungen kaum retten, die für gesunde, lebensverlängernde Mahlzeiten herhalten. Achtsamkeit, Wellness, Wohlbefinden – sie strahlen von allen Werbereklamen.
Über das wachsende Interesse an Achtsamkeit und Selbstfürsorge als Grundlage für Gesundheit, soziale Verantwortung und Solidarität darf man sich freuen. Was aber wenn Achtsamkeit eben nicht zu Gesundheit, sozialer Verantwortung und Solidarität führt? Was, wenn das Paradies, das die Achtsamkeit verspricht, keines ist? Wenn wir aus jenem Paradies unlängst vertrieben wurden? Wenn der Ort, der so frei und still sein soll, infiltriert ist von Ideologie? Gehört er nur vermeintlich uns allein, ist aber in Wahrheit Hort des Kapitalismus, der Optimierungsdruck erzeugt, Leistungssteigerung fordert, Erschöpfung verdeckt und Ausbeutung normalisiert? Was wenn die Stimme, die wir an jenem Ort zu hören glauben, eben nicht die eigene ist, sondern jene von Stress, Effizienz und Konkurrenz, ein Schrei nach immer mehr Leistung, nach immer höherer Belastung? Dann wäre die Achtsamkeit kein Schutzraum, kein sicherer Hafen, sondern eine Heimtücke des Kapitalismus, der im Verborgenen autoritäre Werte platziert. Dann wäre das ein unmittelbarer Angriff des Kapitalismus auf den Menschen, bei dem unter dem Deckmantel von Wohlbefinden und Selbstfürsorge der Schlaf gestört, der Sport instrumentalisiert, die Gesundheit bedroht, der Genuss tabuisiert, das Alter bekriegt, die Schwäche missachtet und die Gemeinschaft sabotiert wird. Der Kapitalismus greife dann nicht mehr nur auf die äußeren Ressourcen des Menschen über, auf seine Arbeitskraft und die Produktionsverhältnisse, sondern kolonialisiere die Innenwelten des Menschen, seine Werte und Glaubenssätze.
Dieser Befürchtung will ich in diesem Buch nachgehen.
“Die Achtsamkeitsfalle. Angriff auf Körper, Geist und Seele” erscheint am 8. Dezember. Hier vorbestellen. Und hier bei der Premiere mit dabei sein.

