Kommentar/FOCUS ONLINE: Klima-Protest auf dem Rücken der Fleißigen

Immer wieder blockieren Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ Autobahnauffahrten und andere Hauptverkehrswege. Sie streben an, dass Routinen und Systeme zum Erliegen kommen. Doch damit lösen sie nicht nur Wut und Unverständnis aus, sie decken damit vor allem die Wohlstandsverwahrlosung und Akademisierung der Klimabewegung auf. Durch ihre einseitige soziale Struktur büßt sie an Schlagkraft ein. Ein Kommentar für FOCUS ONLINE.

Extreme Protestaktionen sind bisher selten als intellektuelle Coups in die Geschichte eingegangen. Oft zielen sie auf niedere Instinkte ab, auf Scham, Angst und Neid, wollen Gruppen einschüchtern, Macht demonstrieren, und bringen dabei auch Menschenleben, Tierwohl und Umwelt in Gefahr.

Unvergessen, wie Greenpeace in 2019 über 3.500 Liter gelbe Farbe auf Berliner Farbahnen gekippt hatte, nur um durch das Verteilen der Farbe die Aktivität des Hauptstadtverkehrs nachzuweisen. Eine Aktion für den schnellen Kohleausstieg. Was folgte, waren Verkehrsunfälle mit Verletzten und Straßensperrungen für die Reinigungsarbeiten. Über 150.000 Liter Wasser wurden für den Abwasch aufgewendet.

Manche tun sich schwer, Extremisten auch so zu nennen

Daneben stehen gefährlichere Aktionen. Ebenfalls in 2019 verübten Unbekannte Brandanschläge auf Leitungen und Kabel der Bahn in Berlin. Bundespolizisten und Feuerwehrleute löschten die Flammen. Verletzte gab es keine. Dafür ein Bekennerschreiben, das Bezug nahm auf den Klimastreik der Fridays for Future-Bewegung: „Zu einem richtigen Generalstreik gehören auch Blockaden und feurige Sabotageaktionen“, hieß es. Menschenleben sollten nicht gefährdet werden. Der für politisch motivierte Taten zuständige Staatsschutz der Kriminalpolizei ermittelte.

„Mit unserem Aktionsbeitrag wollen wir nicht die Fridays for Future-Bewegung vereinnahmen – doch sind wir auch dieser Bewegung zugehörig“, hieß es im Bekennerschreiben weiter. Nicht nur seither wird über Sympathie und Distanz zu derartigen Anschlägen und Aktionen gestritten. Verantwortliche der großen Klimabewegungen und Politiker im linksgrünen Parteienspektrum tun sich bisweilen schwer, Extremisten Extremisten zu nennen. Ihr antikapitalistischer Kampf gegen Marktwirtschaft und freie Gesellschaft kann schon mal derselbe sein.

Klug sind all diese Protestaktionen nicht

So sei ziviler Ungehorsam, der Recht breche, für Bundesumweltministerin Steffi Lemke beispielsweise „absolut legitim“, wenn er gewaltlos verlaufe. Anlass für diese jüngste Einlassung vor einigen Tagen waren die inzwischen seit mehr als zwei Wochen immer wieder stattfindenden Straßenblockaden selbsternannter Aktivisten der Klimaschutz-Initiative „Letzte Generation“. Gewaltlos sind die Sitzblockaden an Autobahnauffahrten und Hauptverkehrswegen in Städten wie Berlin, Hamburg oder Stuttgart aber nur unmittelbar. Mittelbar ist für Notruf, Pflegekräfte und Eltern kein Durchkommen. Sie müssen Menschen im Stich lassen, weil radikale Aktivisten ihrem Wunsch nach anderen Gesetzen im Lebensmittelrecht und in der Agrarpolitik nicht anders Ausdruck verleihen wollen.

Klug sind all diese Protestaktionen nicht. So sind sie meist auch nicht gemeint. Wer am Wochenende die Schule bestreikt oder unbefahrene Straßen blockiert, erregt kein Aufsehen, inszeniert eben nicht „die größtmögliche Störung“, wie sie von den selbsternannten Weltrettern im totalitären Sprachgebrauch der „letzten Generation“ auch gewünscht ist. Sie streben an, dass Routinen und Systeme zum Erliegen kommen. Nur so könne die große Revolution, die Kehrtwende im Klimakampf noch gelingen.

Vergaloppieren sich im totalitären Sprachgebrauch

Einzig: dem Klima wird es eben nicht nützen, dabei wären ein echter politischer Kraftakt, globale Strategie und technologische Innovation hin zu mehr Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt ja in der Tat dringlich.

Doch wer sich im totalitären Sprachgebrauch vergaloppiert, Bilder aus Allmachtsfantasien von Autokraten zitiert, sich über demokratische Prinzipien stellt und mit Arroganz und Witz auf die Fleißigen und Solidarischen in der Gesellschaft hinabblickt, die auf dem Weg zu Kindern oder Jobs an Blockaden verzweifeln, diskreditiert sich als Ratgeber wie Gesprächspartner. Die Straßenblockaden haben nicht nur Wut und Unverständnis ausgelöst, sie haben vor allem auch die Wohlstandsverwahrlosung und Akademisierung der Klimabewegung aufgedeckt. Tiefer lassen Habitus und Kultur nicht blicken.

Romantisierung des angeblichen Freiheitskampfes

Die Romantisierung ihres angeblichen Freiheitskampfes auf dem Rücken einer fleißigen Gesellschaft verdient Empörung. Es genießt Privilegien, wer sich um die Abholung des eigenen Nachwuchses oder um die Arbeitnehmerpflichten in Fabriken nicht kümmern muss, weil Elternhaus oder Steuerzahler die Versorgung derartiger Berufsaktivisten übernehmen.

Mit diesen Repräsentanten an der Spitze einer Bewegung, die einen sozialen Umbau unserer Volkswirtschaft und Industriekultur anstrebt, wird kein Blumentopf zu gewinnen sein. Nicht nur Urgrüne, sondern gerade auch Bürgerliche müssen beklagen, dass ihnen beiden die moderaten, aufstiegsorientierten Lobbyisten für eine ehrgeizigere Klima- und Umweltpolitik fehlen. Wer den radikalen Berufsaktivisten also noch applaudiert, nimmt weder sie noch die Klimabewegung an sich ernst.

Der Kommentar erschien am 18. Februar 2022 auf FOCUS ONLINE.